LM-1945

Villmar

Villmarer Zeitzeugen

 

Montag, 26. März 1945

In den Morgenstunden des 26. März räumte die Wehrmachtseinheit „Kompanie für technische Gase“ mit ihren Fahrzeugen den Standort im Villmarer Steinbruch „Überlahn“. Sie setzte sich in Richtung Weyer mit dem Ziel Raum „Bayern“ ab.
Bei dieser Fahrt kam es an der Gemarkungsgrenze Villmar / Weyer zu einer Tragödie. Beim Rangieren mit Militärfahrzeugen wurden zwei Soldaten der Einheit tödlich verletzt und auf dem Gemeindefriedhof in Villmar beigesetzt.
Am Abend des gleichen Tages sollte die Lahnbrücke durch ein Spezialkommando der deutschen Wehrmacht gesprengt werden. Dem amtierenden Bürgermeister Johann Adam Brahm gelang es jedoch durch sein beherztes Eingreifen, das Kommando von der Sinnlosigkeit des Vorhabens zu überzeugen.
Ausgezehrt und ängstlich zogen im Laufe des Tages von Westen kommend Menschenkolonnen in KZ-Sträflingskleidung durch die Lahn-, Schul-, Graben- und Weilburger Straße in Richtung Aumenau, begleitet von bewaffneten SS-Wachmännern mit angeleinten Hunden. Niemand wagte zu fragen, woher sie kamen oder wohin sie gingen. Entkräftet baten sie um Wasser und Brot. Mutige Frauen schoben ihnen trotz Verbotes versteckt Nahrungsmittel zu, wofür einige nach ihrer Befreiung nach Villmar kamen, um sich für die Hilfe zu bedanken.

 

Dienstag, 27. März 1945

In der Nacht vom 26. zum 27. März näherte sich die Front. Der ungeordnete Rückzug deutscher Soldaten, motorisiert oder zu Fuß, war in den Straßen von Villmar unüberhörbar. Die abgekämpften Männer steuerten eilig und schutzsuchend den nahe liegenden Hochwald in Richtung Taunus an. Ängstlich verharrten viele Einwohner in Luftschutzkellern oder in angelegten Schutzstollen. Andere lagen angekleidet in den Betten. Mutige Mitbürger durchsuchten das geräumte Wehrmachtslager "Überlahn" nach zurückgelassenen Lebensmitteln und anderen verwendbaren Gebrauchsgegenständen. Besonders Wagemutige beteiligten sich an der Ausräumung eines schon verlassenen und unbewachten Vorratslagers der Wehrmacht in Niederbrechen. Säcke mit Reis, Zucker, Hülsenfrüchten, Wehrmachtsbekleidung, Bettwäsche sowie Bürsten, Schuhnägel, Verbandszeug und vieles mehr wurden nach Hause geschafft.
Jede Stunde wurde mit dem Einmarsch der Amerikaner lahnaufwärts von Runkel kommend gerechnet. Schon in der Nacht hatten beherzte Männer des Ortes als Zeichen der Kapitulation hoch auf dem Kirchturm eine weiße Fahne angebracht, während am Morgen aus den Fenstern der Häuser weiße Tücher herausgehängt wurden. Doch es kam anders als erwartet. Kaum hatte eine mit Panzerfäusten bewaffnete Waffen-SS-Einheit die obere Langgasse in Höhe der Mattheiserecke (heute Peter-Paul-Str.) verlassen, rollten gegen 7.30 Uhr von Aumenau kommend amerikanische Panzer an der Loretokapelle vorbei über die Weilburger Straße bis zur Rathausecke. Schussbereit mit Angst einflössender Besatzung rückten sie bis zur Kreuzung Limburger- Lahnstraße vor. Ein besetzter LKW der Waffen-SS befuhr zur gleichen Zeit aus Runkel kommend die Lahnstraße bis in Höhe des Lehrerwohnhauses. Seine Besatzung sichtete den Spitzenpanzer der Amerikaner. In Panik geraten, sprangen die SS- Soldaten aus dem bereits rückrollenden Militärfahrzeug. Sie benutzten als Fluchtweg den Schulhof hinter dem Lehrerwohnhaus. Sofort eröffnete der amerikanische Panzer das Feuer auf das Gebäude. ... Die amerikanischen Streitkräfte setzten ihren Vormarsch in Richtung Niederbrechen fort. Unweit der " Brecher Kapelle" (Oberheiligenhaus) trafen sie auf ein deutsches Wehrmachtsfahrzeug, das nach Villmar unterwegs war. Sogleich nahmen sie dieses unter Beschuss.

 

Gründonnerstag, 29. März 1945

Auf besonderen Befehl der US Kommandantur mußten sich am 29. März alle in der Gemeinde befindlichen deutschen Soldaten zur Registrierung im Rathaus melden, dem etwa 30 Wehrmachtsangehörige Folge leisteten. Darunter befanden sich auch eine Anzahl Villmarer, die sich auf Genesungs- oder Sonderurlaub befanden oder auf abenteuerliche Weise bereits in ihre Heimat gelangt waren.
Der in Villmar lebende Kurt Rumler (* 1922) wurde als 19jähriger im Januar 1941 zur Wehrmacht eingezogen, kämpfte in Rußland und Italien und wurde dabei dreimal verwundet. Er erinnert sich noch heute an seine Kriegsgefangenschaft und deren Verlauf: Beim Einmarsch der Amerikaner am 27. März befand ich mich in meinem Heimatort Villmar als Soldat auf Sonderurlaub. Am 29. März hatten alle im Ort anwesenden Wehrmachtsangehörigen auf Befehl der Amerikaner im Rathaus zu erscheinen. Ein gut deutsch sprechender amerikanischer Offizier teilte uns mit, daß wir für kurze Zeit als Kriegsgefangene zu Aufräumungsarbeiten eingesetzt werden. Unter Militärbewachung wurden wir als Kriegsgefangene in die Scheune des Richard Istel in der unteren Langgasse gebracht und für eine Nacht in Verwahrung genommen. Am Karfreitag 1945 erfolgte der Abtransport mit einem Militärlastwagen an einen uns unbekannten Bestimmungsort.
Der erste Stopp erfolgte in einem Sammellager mit mehreren tausenden Gefangenen auf einem Feldgrundstück im Schnee in Simmern / Hunsrück. Die Verpflegung war miserabel. Weiter ging die Fahrt nach Frankreich in die Lager von Versailles und Stenney. Dort fand eine Trennung der Villmarer Gruppe statt, von der einige bis nach Cherbourg transportiert wurden. Da ich eine Kraftfahrererlaubnis nachweisen konnte, kam ich Anfang Mai 1945 mit weiteren 100 Kameraden nach Deutschland zurück. Auf einem ehemaligen Feldflugplatz der deutschen Wehrmacht bei Geldersheim/Schweinfurth fanden wir in vorhandenen Baracken die erste zufriedenstellende Unterkunft. Wir arbeiteten als Kraftfahrer beim Ausbau einer Rollbahn für die Benutzung durch amerikanische Flugzeuge, oder führten. Transportarbeiten für das Lager, und den Flugplatz aus. Es bestand ein geregeltes Lagerleben mit einwandfreien hygienischen Verhältnissen und guter Verpflegung. Der briefliche Kontakt mit der Heimat, ja sogar der Besuch der Eltern mit Aufenthalt im Lager war gestattet. Ende März 1946 konnte ich das Lager verlassen und erreichte am 1. April wieder mein Zuhause in Villmar.

 

Quelle:
Kreisheimatstelle des Landkreises Limburg-Weilburg (Hg.)
"Eigentlich ist kaum Zeit zum Schreiben ..", Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen von Zeitzeugen an das Kriegsende 1945 im Landkreis Limburg-Weilburg, Limburg 2005