LM-1945

Oberbrechen

Katholische Pfarrchronik

 

Dienstag, 27. März 1945

27. März 1945: Tag der Befreiung für Oberbrechen, der Befreiung von dem Krieg mit all seinen Schrecken, der Befreiung von dem unerträglich Nazijoch! - Die Amerikaner sind bereits in Niederbrechen u. Weyer, so hieß es in der Frühe dieses Tages; sicher kommen sie auch heute nach Oberbrechen! Das ganze Dorf in fieberhafter Erregung. Aber auch dieser Tag sollte nochmals eine große Aufregung in das Dorf bringen. Am Morgen erschienen plötzlich einige Soldaten der berüchtigten SS mit Panzerfäusten u. anderen Feuerwaffen (in dem Wäldchen am Stein hatten sie ihr Lager errichtet) u. erklärten, so leicht wie in Niederbrechen gehe es hier nicht, sie würden Oberbrechen verteidigen. Selbst halbwüchsige Mädchen u. Buben, fast noch Kinder, passieren mit Panzerfäusten das Dorf. Heller Wahnsinn! Die Oberbrechener sind empört! Denn eine solche Verteidigung / hätte Oberbrechen teuer zu stehen kommen können. Von allen Seiten dringt man auf die SS Soldaten, die übrigens fast alle betrunken waren, ein u. sucht sie zu veranlassen, das Dorf doch nicht in letzter Minute zu gefährden u. sich daher wenigstens vor dem Dorf aufzustellen. Auch der Bürgermeister Jakob Schupp, der übrigens gerade an diesem Tag alles getan hat, um das Dorf vor Unheil zu bewahren, versuchte es immer wieder, diese SS-Leute zur Vernunft zu bringen. Aber man bedrohte ihn mit der Schußwaffe, zumal er den sog. Volkssturm nicht aufbieten u. auch die Panzersperren nicht hatte schließen lassen. Ja, / man will sogar noch eine Kompagnie SS zur Verstärkung heranziehen. Aber das sollte nicht mehr gelingen. Die Amerikaner kamen schneller, als man geglaubt hatte. Als dann ein amerikanischer Aufklärer - ein FieseIer Storch - über Oberbrechen erschien u. majestätisch über das Dorf kreuzte, fingen die Burschen an, weiße Fahnen herauszuhängen, allerdings nicht ohne Bedrohung durch die SS Soldaten. Natürlich waren inzwischen auch alle Nazi-Symbole, Hakenkreuzfahnen, Hitlerbilder u. dergI. verschwunden. Man wusste ja nur zu gut, wie verhaßt diese Dinge den Amerikanern waren. - Auf dem Kirchplatz hatten sich viele Menschen eingefunden u. schwenkten weiße Tücher dem Flugzeug entgegen. Ich selbst kniete in der Kirche vor dem Allerheiligsten u. flehte den Heiland an, er möge doch an diesem kritischen und entscheidenden Tage seine / schützende Hand über meine Gemeinde halten.
Plötzlich gegen 3 Uhr ertönte das Dorf: Sie kommen, sie kommen! Von Weyer her näherten sich in verhältnismäßig langsamer Fahrt 4 amerikanische Panzer-Spähwagen dem Dorf. Vorsichtig u. immer die Hand an der Schußwaffe fuhren sie durch die Hauptstraße. In der Nähe des Schwesternhauses gab es auf einmal eine große Schießerei. Anscheinend hatten die Amerikaner einige SS Soldaten gesichtet, die in das Wäldchen am Stein zu entkommen versuchten. Vielleicht hatte auch einer von ihnen geschossen. Später wurde der Oberleutnant Albert Gilberg mit Namen nicht weit von dem Wäldchen tot aufgefunden. Ein Kopfschuß durch den Stahlhelm hatte den sofortigen Tod / herbeigeführt, Er wurde in dem Kindergarten aufgebahrt u. am Gründonnerstag Morgen in aller Stille auf unserm Friedhof beigesetzt. Eine kirchliche Beerdigung kam für mich nicht in Frage, weil er in seinen Papieren als 'gottgläubig' bezeichnet war. Er stammte aus der Oberpfalz u. war wahrscheinlich früher Katholik gewesen. Nach dem Feuergefecht fuhren die Amerikaner wieder in die Frankfurterstraße zurück bis zum Eingang der Weyerstraße, dort stiegen sie aus, stellten einige Fragen u. fuhren wieder nach Weyer zurück, allerdings zum großen Schrecken der Dorfbewohner. Mußte man doch mit vollem Recht mit einer Rückkehr der SS ins Dorf rechnen. Die letzten Dinge hätten dann vielleicht schlimmer werden können als die ersten.

 

Mittwoch, 28. März 1945

Tatsächlich fing auch die SS am anderen Morgen* vom Friedhof aus an, nach dem Dorf zu schießen; aber dabei blieb es auch. Ins Dorf wagten / sie sich nicht mehr hinein. Bald darauf kamen die Amerikaner mit größeren Verbänden u. besetzten Oberbrechen. Mehrere Häuser mußten daher für sie geräumt werden. Einige Soldaten, die gerade auf Urlaub waren, wurden als Gefangene abgeführt. Von da ab hatte unser Dorf wiederholt amerikanische Einquartierung. Im allgemeinen war das gegenseitige Verhältnis ein gutes.

*Der Tag nach dem 27.3.1945

 

Quelle:
Kreisheimatstelle des Landkreises Limburg-Weilburg (Hg.)
"Eigentlich ist kaum Zeit zum Schreiben ..", Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen von Zeitzeugen an das Kriegsende 1945 im Landkreis Limburg-Weilburg, Limburg 2005