(Liesel Hammerschlag "Die Nacht werde ich nie vergessen" in NLZ vom 9.5.1985)
Montag, 26. März 1945
Als am Palmsonntag, den 25. März 1945, vormittags der letzte Luftangriff über Limburg niederging, arbeitete ich seit über zwei Wochen als 18jährige, eben aus dem Arbeitsdienst entlassene DRK-Helferin im Dienst des Hilfskrankenhauses, das im Missionshaus der Pallottiner eingerichtet war. Während der Vorentwarnung um die Mittagszeit war ich voller Angst und Spannung mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren, um nach meinen Angehörigen zu sehen. Meinen Vater * traf ich dort auf den Trümmern seines Geschäftes**. Feuerwehrleute zogen mich von der Straße weg in einen Hauseingang, weil die Jagdbomber noch über der Stadt kreisten. Ich ging später wieder auf meine Station zur Arbeit.
Als es dunkel wurde und ich eigentlich Dienstschluß hatte, hielt man mich zurück. Der Nachhauseweg sei zu gefährlich und die amerikanischen Truppen wahrscheinlich nicht mehr weit. Ich blieb also, und diese Nacht zum 26. März im Hilfskrankenhaus werde ich nie vergessen.
Bis spät am Abend wußte man nichts über die Entwicklung. Ich versuchte am Hauseingang etwas zu erfahren. Da sah ich einen deutschen Arzt mit einem Amerikaner sprechen. Ich erfuhr, die amerikanischen Truppen seien bis zur Einmündung der Wiesbadener Straße vorgerückt, und es würden von den Amerikanern deutsche und amerikanische Verwundete hereingebracht. Der amerikanische Sanitäter war dabei, dem Arzt zu erklären, wie die Ein-Weg-Morphiumspritze zu verwenden sei. Zur Demonstration griff er plötzlich nach meinem Schürzenträger, piekte die Injektionsnadel einer leeren Tube durch den Stoff und bog die Spitze der Nadel um. So an der Uniform des Verwundeten befestigt, sieht jeder, der ihn weiterbehandelt, welche Injektion er bereits erhalten hat. Ich aber schaute mehr als verdutzt auf diese amerikanische Hand an meinem Schürzenträger.
Später in der Nacht saßen wir dicht gedrängt in den Kellerräumen des Klosters:
Patienten, Pflegepersonal und zwei oder drei leicht verwundete deutsche Soldaten.
... Man hörte dann, daß bei Tagesanbruch der Kampf um die Stadt beginnen solle, falls nicht bis dahin die weiße Flagge gehißt worden sei. So ging ich, als es heller wurde, aus dem Keller in den zweiten Stock, um besser sehen zu können, was sich auf der Wiesbadener Straße ereignete. Ich hatte gerade einige laufende Soldaten und Militärwagen im Straßengraben erkannt, als ich von hinten vom Fenster weggerufen wurde. Waren es Volkssturm-Soldaten oder Amerikaner? Ich hatte es nicht erkennen können. Um diese Zeit wurde bekannt,daß auf dem Postgebäude die weiße Fahne gehisst sei und es keine Kämpfe mehr gäbe. Erleichtert atmete jeder auf.
Während des Vormittags rollten dann die amerikanischen Fahrzeugkolonnen in die Stadt. Ich ging durch den damals breiten Vorgarten vor der Pallottinerkirche. Dort sah ich auf der Wiese nebeneinander vier ältere, gefallene, deutsche Soldaten liegen, ... Ein paar Schritte weiter von der hohen Gartenmauer aus sah man die einrückenden amerikanischen Soldaten und gegenüber auf dem Bürgersteig standen Menschen, die ihnen zuwinkten.
* Friedrich Wilhelm Hammerschlag
** Das Geschäft der Firma Peter Josef Hammerschlag (erbaut 1937 mit der Auflage eines Luftschutzkellers) befand sich in der Flathenbergstraße (heute Wemer-Senger-Str. 1, zur Zeit von H & M genutzt) und wurde total zerstört. Im Luftschutzkeller kamen dabei 15 Menschen ums Leben. Das Geschäft verzog 1951 in die Oderstraße 2.
Quelle:
Kreisheimatstelle des Landkreises Limburg-Weilburg (Hg.)
"Eigentlich ist kaum Zeit zum Schreiben ..",
Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen von Zeitzeugen an das Kriegsende 1945
im Landkreis Limburg-Weilburg,
Limburg 2005