LM-1945

Kirberg

Erinnerungen von Josef Maßen

[Kirberg, Erinnerungen von Josef Maßen, S. 20ff]

 

Samstag, 24. März 1945

In der Nacht zum 25.3. mussten ... (drei Kameraden) ... und ich nach Limburg und sehen, was der Ami in der Gegend machte. Ganz schnell wußten die Kirberger Bescheid über unseren Auftrag und bei gewissen Leuten war gewisse Aufregung festzustellen. Vier Knaben in HJ-Uniform wollten mit aller Gewalt mit uns nach Limburg. Da aber im Tatra (Wehrmachts fahrzeug im Zweiten Weltkrieg) nur für vier, im höchsten Falle für fünf Personen Platz war, haben wir die Jungens auf die Motorenlüftung gesetzt.
Unserem Chef war alles egal, was wir machten. Als es zum Ort raus in Richtung Limburg ging, wurde es drei von den vier Knaben ganz komisch und sind am Haus von Dr. Henrich wieder abgestiegen und in den Ort zurückgelaufen. Den Vierten haben wir durch die Turmluke ins Wageninnere gezogen. Ohne Schwierigkeiten kamen wir bis auf den Platz vor dem Dom. / Trotz der Dunkelheit hatten wir schnell genug gesehen. Ungefähr dort, wo heute die neue Lahnbrücke ist, kam der Ami mit seinen Panzern und ist später dann auch zwischen Limburg und Staffel durch die Lahn gemacht. Wir haben uns schnell wieder in Richtung Kirberg abgesetzt. In Limburg wurden überall schon die weißen Fahnen gezeigt. Beim Mensfelder Zollhaus tummelte sich noch eine Menge SS-Soldaten. Als wir auf der Höhe Abfahrt Nauheim waren, ging das Zollhaus in Flammen auf In Kirberg war auch allerhand auf den Beinen. An der evangelischen Kirche war eine kleinere Einheit SS versammelt. Unsere Einheit konnte die SS davon überzeugen, daß wir die Lage vollkommen im Griff hatten, und sie waren froh, daß sie sich in Richtung Camberg absetzen konnten. Die Einheit brauchte die ganze Nacht und noch den ganzen 25.3., um Kirberg zu verlassen.

 

Palmsonntag, 25. März 1945

Am Nachmittag des 25.3. bekam ich den Befehl, sobald die Einheit abgerückt sei, die Panzersperren anzulegen und zu verteidigen .... / Die Panzersperren hatten sicher doch keinen Wert. Wenn Kirberg hätte verteidigt werden sollen, hätten noch mindestens zehn Panzersperren errichtetet werden müssen. Wir haben uns immer gefragt, wozu das nützen.
Um Kirberg herum war so viel Platz zur Umgehung. Zudem, die Soldaten waren fort und somit kein lohnendes Ziel mehr für die Ami in Kirberg. Wenn die Ami gesehen hätten, daß die Panzersperren zugelegt waren, hätten sie sofort gestoppt und mit Artillerie darauf und auch in den Ort geschossen. Oder, je nach Lage der Front, waren sehr schnell ein paar Jabo zur Stelle und warfen Bomben. Es ist in solchen Fällen vorgekommen, daß sogar große Bomber zur Zerstörung eingesetzt wurden. Das alles wollten wir Kirberg und der Bevölkerung ersparen. 

 

Montag, 26. März 1945

Es ging gegen Morgen, und wir glaubten schon, die Ami kämen aus Richtung Wiesbaden. ... Es dauerte dann nicht mehr lange, und der Ami kam den Kaltenholzhäuser Weg herunter. Die ersten Fahrzeuge bogen vor der offenen Panzersperre rechts ab auf den Berg (Alte Flurbezeichnung). Dort ungefähr, wo heute die Raiffeisenhalle steht, gingen Artillerie-Geschütze und Panzer in Stellung.
Jetzt wussten wir, nun legt keiner mehr die Panzersperren zu und wir sind ab in Richtung Ohren. Es war auf unserem Fahrzeug ja etwas eng, aber es ging, und keiner brauchte zu laufen. Auf halbem Weg zwischen Kirberg und Ohren war auf einmal der Artillerie-Beobachter über uns. Er drehte dann wieder ab, und bis vor Beuerbach ging alles ganz gut und schnell. Von überall her kamen Soldaten, und alles eilte in Richtung Autobahn, um in den Taunus zu kommen.
Die Beuerbacher kannten die Panzersoldaten aus Kirberg ganz gut, denn wir hatten dort verschiedentlich für Unterhaltung gesorgt. Darüber zu schreiben, würde zu weit führen. Man wollte uns einfach nicht weiterziehen lassen. Eine ganze Menge Soldaten saßen und lagen in den Straßen und wollten sich dort dem Ami ergeben. Der Ami hat sie dort einen Tag später kassiert und nach Bad Kreuznach gebracht. Dort in dem Lager war die Hölle los. Drei Kirberger, die von dem Ami auch dorthin gebracht worden waren, haben später über das Lager berichtet.
Auf der Straße zwischen Beuerbach und der Autobahnbrücke sind auch noch schreckliche Dinge passiert. Die Ami (sic) rollten schon mit ihren Panzern auf der Autobahn in Richtung Frankfurt. Wir wollten und mussten doch durch die Unterführung. In Gefangenschaft wollten wir doch noch nicht. Nach etwas Warten am Waldrand gab es dann auf der Höhe von Würges an der Autobahn Schießereien. Das war unser Glück. Nicht nur wir, sondern auch eine Menge anderer Soldaten, kamen gut durch die Autobahnbrücke nach Camberg herein.
Vor Merzhausen hatte sich auch so allerhand getan. Im Gelände, im Straßengraben und auf der Straße lagen und standen eine Anzahl brennender Fahrzeuge aller Art. Es waren auch Fahrzeuge unserer Einheit dabei. Höchste Vorsicht war geboten. Ich zählte noch ungefähr 30 Jabo (sic), die im Abflug waren. Die hatten im Wald viel Unheil angerichtet. Dort war ein Lager mit Treibstoff und Gas gewesen. Die Jabo (sic) hatten es gefunden und zerstört. Rauchwolken und Flammen standen über dem Wald. Die Bevölkerung meinte, es wäre Verrat gewesen. ...
Der zweite Schreck für uns kam dann einige hundert Meter weiter. Da standen sehr gut getarnt etwa zehn Knaben etwas von der Straße weg in Soldatenkleidern und hielten Waffen in der Hand. Wir hielten an und gingen zu den Buben und fragten nach dem Auftrag. Sie gehörten zum Volkssturm und hatten die ganze Nacht schon dort gestanden. Das Werfergerät, welches sie abfeuern sollten, wenn der Ami sich näherte, war auf ein Gebäude im Wald gerichtet. Die Soldaten die dort gewesen waren, hatten sich einen Tag vorher abgesetzt. Warum dann dieser Unsinn? Nur um ein Gebäude zu zerstören, wurden die Leben dieser Jungens auf Spiel gesetzt. Ein Werfgerät, wie dort stand, kannten wir nur vom Osten her. Wir haben die Zündung unbrauchbar gemacht und ebenso die Waffen der Jungens. Drei von uns sind mit den Jungens zu Fuß bis zu den ersten Häusern in Merzhausen gegangen und haben sie dort den Zivilisten mit der Bitte übergeben, den Jungens Zivilkleidung zu besorgen und sofort den Eltern wieder zu geben. Die Kerle stammten alle aus umliegenden Orten. 

 

Quelle:
Kreisheimatstelle des Landkreises Limburg-Weilburg (Hg.)
"Eigentlich ist kaum Zeit zum Schreiben ..", Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen von Zeitzeugen an das Kriegsende 1945 im Landkreis Limburg-Weilburg, Limburg 2005